Radiobeitrag im türkischsprachigen Sender Köln Radyosu bei Funkhaus Europa von Nurten Kum
Special: „Heimat Europa“
Starring Monika Nenkova,Thomas Bönig, Paco,David Boucherie,Burak Fahri Icer,Electro-Hafiz.
Sport ist das beste Mittel gegen Blödsinn. Wer allerdings meint, dass die Schule unwichtig ist, der fliegt hier auch ganz schnell wieder raus«, sagt Mecit Besiroglu und korrigiert die Haltung eines seiner Schüler. Jetzt geht es richtig zur Sache. Jungen unterschiedlichen Alters schlagen mit dicken Boxhandschuhen auf lange gelbe, schwarze oder rote Sandsäcke.
Jeder Schlag wird begleitet von einem dumpfen Geräusch: puff, paff, puff. Die Kleinen legen sich mächtig ins Zeug, um die schweren Säcke ins Schwingen zu bringen. Dazwischen steht der stämmig-kraftvolle 64-Jährige in Jeans und grauem Sweatshirt und gibt Anweisungen: »Nimm die Fäuste höher. Ja, so ist es richtig.« Mecit Besiroglu ist stolz auf seine Jugendlichen, die fast alle einen Migrationshintergrund haben. »Diese Boxhalle ist seit 1977 meine Moschee und meine Kirche. Ich habe schon Tausende Jugendliche von der Straße geholt. Die Jungs brauchen Disziplin und Respekt. Beides lernen sie hier«, sagt der ehemalige türkische Vizemeister im Amateurboxen.
Zwanzig Minuten nach dem Anschauungsunterricht für Integrationsarbeit stehen wir – vier Damen und zwei Herren mittleren Alters – wieder auf dem Kölner Hansaring vor der unscheinbaren, etwa fünfzig Zentimeter schmalen grauen Stahltür in einem S-Bahn-Gewölbe. »Integration durch Sport Boxen Köln e. V.« ist auf dem lässig mit Klebestreifen an die Tür gepappten Schild zu lesen. Hinter dem schmalen, grau verputzten Gang liegt das Reich von Mecit Besiroglu, das wir gerade aufgesucht haben – ein etwa hundert Quadratmeter großer Saal, der von einem großen Boxring dominiert wird. »Ein Superprojekt für die Jugendlichen. Die wissen ja sonst manchmal gar nicht, wohin mit ihrer Kraft«, sagt eine Dame und nickt anerkennend mit dem Kopf.
15,7 Millionen Migranten – Ausländer und Deutsche mit Migrationshintergrund – sind in Deutschland gemeldet. Mehr als zwei Millionen stammen aus der Türkei. Und davon leben mehr als 60 000 im rheinischen Köln. Berührungspunkte gäbe es eigentlich viele – nur genutzt werden sie selten. Statt über die Parallelwelten in deutschen Großstädten zu lamentieren, hat sich die kleine Gruppe heute aufgemacht, das türkische Köln kennenzulernen.
Verteilt auf S-Bahn und Auto geht es weiter zum Boxclub und danach in die Weidengasse – in das türkische Süßwarengeschäft »Damla«. Im Hintergrund der Ladentheke stehen vor holzgetäfelten Wänden niedrige Tischchen und gepolsterte Hocker und Bänke mit bunten Ornamenten. Hier gibt es viele Dutzende Ausgaben der türkischen »Kunstwerke in Blätterteig«: Baklava.
Das Gebäck wird, gefüllt mit Walnüssen, Mandeln oder Pistazien, im heißen Zustand in Zuckerwasser-Sirup gelegt und dann geschnitten. Ahmed, ein junger Mitarbeiter von »Damla«, berichtet mit einem stolzen Lächeln: »Baklava ist eine Süßigkeit, die früher nur für den Sultan hergestellt wurde. Wir machen sie jeden Tag frisch. Am Wochenende kommen unsere Kunden sogar aus Belgien und Luxemburg.« Das Angebot vervollständigt eine Riesenauswahl an türkischem Honig, süßen Plätzchen und Salzgebäck. Im hinteren Teil des Raumes serviert eine Kellnerin in schwarzem Rock mit Weste und weißer Bluse kleine Tässchen mit türkischem Mokka.
»Die Kunst des Mokka-Kochens hat viel zu tun mit der Brautwerbung. Wenn die Familie des Bräutigams die Familie der Braut besucht, dann kocht das Mädchen den Mocca«, erklärt sie ihren Gästen. Je besser der Kaffee schmecke – ein Gradmesser dafür ist der produzierte Schaum – desto besser schneide das Mädchen ab. »Wird das heute noch gemacht?«, fragt eine der Besucherinnen neugierig. Die Damla-Mitarbeiterin nickt lächelnd. »Manchmal. Wenn die Familien sehr traditionell sind.«
Bevor es zum praktischen Baklava-Test an die Verkaufstheke geht, verteilt Şöhret Gök bedruckte Zettel. Ein kleiner Aussprachekurs in Türkisch. »Ein ,s wird wie sch ausgesprochen. Ein ç wie ein tsch in tschüss.« »Oh je«, sagt eine Kursteilnehmerin. »Das sieht aber kompliziert aus. Guten Abend heißt also lyi ak,samlar?« Şöhret Gök lacht und spricht das Wort ein paar Mal schnell hintereinander: »Das muss man sich mehr als einmal vorsprechen lassen.« Ein paar Minuten bleiben noch für den Gebäck-Einkauf – und schon blickt Şöhret Gök wieder auf die Uhr. In der Nachbarschaft wartet ein türkischer Friseur auf unseren Besuch.
Der macht auch nichts anderes als deutsche Friseure? Ein Irrtum, wie eine der Damen gleich erfahren wird. Eine freiwillige Probandin wird sich jetzt das Gesicht epilieren lassen – auf Türkisch. »Die türkische Friseurkultur hat viele alte Techniken bewahrt«, erläutert Şöhret Gök, während die Freiwillige sich auf einen Friseursessel sinken lässt und ein wenig skeptisch in den Spiegel guckt.
Ähnlich wie bei einem Kinder-Fadenspiel wickelt sich der Friseur, ein freundlich lächelnder Mittvierziger mit schütterem Haupt- und gepflegtem Barthaar, einen Faden um die Finger beider Hände, verkreuzt diese mehrmals und entfernt mit diesem straff gespannten Faden zunächst die Härchen auf der rechten Wange. »Autsch«, sagt das »Versuchskaninchen« laut und verzieht das Gesicht. »Das zwirbelt aber ganz schön.« Zu guter Letzt zupft der Künstler auch noch die Augenbrauen in Form. Um ganz ehrlich zu sein: Es hat nicht weher getan, als wenn der Friseur mit einer herkömmlichen Pinzette zu Werke gegangen wäre. »Das stimmt. Aber in dieser Form ist es viel gründlicher«, sagt Şöhret Gök, »und die Haut ist danach sehr geschmeidig.« Die Probandin streicht über ihre Haut. »Tatsächlich. Meine Haut fühlt sich jetzt viel weicher an«, sagt sie überrascht. »Das werde ich jetzt regelmäßig machen lassen.«
Nach all den neuen Eindrücken gönnt sich die kleine Gruppe den Besuch in einem stimmungsvoll in rötliches Kerzenlicht getauchten türkisch-kurdischen Restaurant in der Krefelder Straße. Auch das liegt gleich ums Eck – und Şöhret Gök ist hier nicht zum ersten Mal. »Dies ist ein Restaurant mit ganz tollen Spezialitäten«, sagt sie und vertieft sich umgehend in die Speisekarte. »Empfehlen kann ich zum Beispiel dieses Gericht: Kutelke Malatya. Das sind gefüllte Grießklößchen mit Käse, Champignons, Nudeln, Zwiebeln und Nüssen.« Die Kurzreisenden nicken – und studieren derweil selbst die Speisekarte. »Das hört sich ja alles sehr lecker an«, sagt eine Dame anerkennend. »Wenn das alles so schmeckt, wie es sich anhört …!«
»Das war doch ein sehr interessanter Nachmittag mit richtig netten Leuten«, fasst eine der Teilnehmerinnen zusammen. Und eine andere ergänzt: »Die vergangenen Stunden haben sich angefühlt wie ein kleiner Urlaub. Eigentlich verstehe ich das gar nicht: In den Ferien ist man immer dankbar für Begegnungen und neue Eindrücke. Aber wenn man sie zu Hause in der Nachbarschaft machen kann – dann kommt man irgendwie gar nicht auf die Idee. Dabei könnte man sich doch auch in Köln ab und zu einen türkischen Mokka in einem türkischen Lokal gönnen und dabei ein bisschen mit den
Leuten reden.«
Wir hatten eine so tolle Führung, so hervorragend, liebevoll ausgewählt, eine tolle Mischung, eine tolle Frau, die viel zu erzählen hat und mit Herz dabei ist.“,
„Wir werden die Tour weiter empfehlen und ganz sicher die anderen in den anderen Stadtvierteln mitmachen.“
– Gastkommentar –
„Köln alla Turca“ mit Şöhret Gök
Egal, wo wir uns in Köln befinden, türkisch-kölsches Leben ist um uns. Mode aus dem hippen Istanbul, Gemüse vom Basar um die Ecke, Zentral- und Hinterhofmoschee, sogar verschiedene muslimische Dachverbände: Der türkische Einfluss diverser Volksgruppen ist in Köln an vielen Ecken spürbar. Bei dieser Kulturwanderung schärfen Stationen zu Körperpflege, Haushalt und Kulinarik, sowie ein Türkisch-Crashkurs, unseren Blick für den Alltag von vielen tausend Einwohnern unserer Stadt.
Şöhret Gök hat deutsch-türkische Wurzeln, lebt als Rechtsanwältin und Dozentin in Köln und engagiert sich in verschiedenen Projekten in der Türkei. Die Mediatorin und Expertin für deutsch-türkische Konflikte beschäftigt sich mit Streitkultur und nutzt dabei die Weisheit orientalischer Märchen. Sie begeisterte bisher nicht nur zahlreiche Gäste, sondern auch viele türkischstämmige Gastgeber auf unserer Reise, die mittlerweile vier verschiedene Routen durch Ehrenfeld, Innenstadt, Südstadt und Mülheim umfasst.
Ethnofood: Kulinarische Weltreise Eigelstein mit Thomas Bönig
Auf der Rückseite des Hauptbahnhofs geht es – wie überall auf der Welt – etwas ruppiger zu. Der Eigenstein, das frühere „Chicago am Rhein“ tritt zwar immer sauberer und glatter auf, aber es ist und bleibt ein quirliges, multikulturelles Veedel, voller Charm und vieler Facetten. Hier trifft türkische Einwandererkultur auf türkische Trends, chinesische handgerollte Nudeln auf argentinische Tapas und nigerianischer Yams auf Guiness.
Die Esskultur ist in vielen Ländern der Welt wesentlicher Bestandteil des Alltagslebens. Das soziale Leben findet rund ums Essen statt. Was könnte es daher besseres geben, als eine „kulinarische Weltreise“ um andere Sitten und Bräuche kennen zu lernen? Erforschen Sie die vielfältige Welt der exotischen Küchen in mindestens drei Gängen – Sie bringen lediglich Appetit und Experimentierfreude mit.